Glasmalerei - eine unterschätzte Kunstform
Das Deutsche Glasmalerei-Museum in Linnich ist ein Spezialmuseum für Glasmalerei vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert. Es sammelt, forscht und vermittelt auf dem Gebiet einer künstlerischen Bildsprache, die wegweisende Impulse für die Moderne gesetzt hat, seit der niederländische Künstler Johann Thorn Prikker Anfang des 20. Jahrhunderts ins Rheinland gerufen wurde. Das Museum macht der Öffentlichkeit bewußt, dass in der Nachkriegszeit internationale Wirkung von der rheinischen Glasmalerei ausgegangen ist und diese unterschätzte Kunstform auch heute deutschlandweit einen qualitätvollen Stand als Raumkunst und autonome Ausdrucksform vertritt.
Linnich beheimatet die älteste Glasmalerei-Werkstatt Deutschlands
Linnich ist Standort des Deutschen Glasmalerei-Museums, weil hier seit 1857 die älteste noch tätige Glasmalereiwerkstatt Deutschlands beheimatet ist. Glasmalerei ist zudem Teil der historisch gewachsenen regionalen Kulturlandschaft. Mit weiteren großen Werkstätten in Kevelaer, Kaiserswerth, Taunusstein und Paderborn und Ausbildungsstätten in Krefeld, Düsseldorf, Köln, Aachen und Trier war diese Region um das Kerngebiet des Bistums Aachen nach der um 1910 begründeten Moderne in der Glasmalerei führend auf dem Feld der expressiven, abstrakten und architekturbezogenen Entwürfe. Nicht mehr Werkstätten, sondern überwiegend freie Künstler wurden nunmehr beauftragt und erneuerten die Bildsprache. Mit der Dreikönigskirche in Neuss (1911) oder der Klosterkirche Marienthal bei Wesel (ab 1924) entstanden durch mutige Priester moderne Ausdrucksformen der Kirchenkunst. Nach dem II. Weltkrieg erbrachten zahllose Wiederaufbauten und Neubauten ein Auftragsumfeld, das mit zeitgemäßen Lösungen zu weltweiter Wirkung dieses rheinischen Zentrums der Glasmalerei führte.
Glasmalerei als Teil moderner Architektur
Insbesondere im 20. Jahrhundert hat die Glasmalerei mitgewirkt an der Gestaltung moderner Architektur, in der immer größere Glasflächen und Vorhangfassaden wesentlicher Bestandteil geworden sind. Darüber hinaus hat sich die Glasmalerei am Ende des 20. Jahrhunderts mit Künstlern wie Ludwig Schaffrath oder Hans Gottfried von Stockhausen als autonome Kunst emanzipiert, die in frei stehenden Stelen oder eigenständigen Glasbildern ihre besonderen ästhetischen Qualitäten entwickelt.
Umfangreiche Sammlung von Künstlern der Moderne
Zahllose Werke bedeutender Glasmaler der Moderne stehen dem Hause in Beispielen zur Verfügung. Mit Heinrich Campendonk, Georg Meistermann, Josef Strater, Wilhelm Teuwen und Anton Wendling sind die Nachfolger Johan Thorn Prikkers vertreten. Die bekanntesten Glasmaler der nächsten Generation sind Wilhelm Buschulte, Hermann Gottfried, Joachim Klos, Jochem Poensgen, Ludwig Schaffrath, Johannes Schreiter, Hubert Spierling oder Hans Gottfried von Stockhausen. Deren wichtigsten vertretenen Schüler sind etwa Thierry Boissel, Bernhard Huber oder Raphael Seitz. Viele gilt es noch bekannt zu machen.
Glasmalerei als Raumkunst
Innerhalb der Glaskunst wird zwischen Hohlglas und Flachglas unterschieden. Die meisten Museen mit kunstgewerblichen und modernen Abteilungen zeigen Gefäße und plastische Erzeugnisse. Einige haben ansehnliche Sammlungen von Werken der Glasmalerei des 14. bis 20. Jahrhunderts, die überwiegend in Kirchen eingebaut waren oder zu Teilen in Gaststuben, Rathäusern und Privathäusern als Medaillons oder Vorhängescheiben Verwendung gefunden haben. Im Wesentlichen ist Glasmalerei jedoch eine Raumkunst, denn sie hat entscheidenden Anteil an der Wirkung und optischen Struktur eines Gebäudes, dessen Material, Farbigkeit und Konstruktion zu integrieren sind. Das kann man nur in einem Raum selbst erleben, der durch das Leuchten der Farben und das Schwanken der Helligkeitswerte im Wechsel des Tages und Jahres zu verschiedenen Atmosphären angeregt wird, bei denen unterschiedliche Teile der Farbgestaltung zum Tragen können kommen.
Anschauliche Beispiele zur Betrachtung aus der Nähe
Das Deutsche Glasmalerei-Museum in Linnich setzt sich für die moderne Glasmalerei ein, indem es in Wechsel- und Dauerausstellungen die Herstellung und die Geschichte verdeutlicht und in Einzelscheiben, Stelen oder Installationen die künstlerische Vielfalt dieser unterschätzten künstlerischen Ausdrucksform anschaulich macht. Man kann hier die Details der auf Fernsicht konzipierten Arbeiten näher betrachten, als in den meisten Einbauorten. Dabei werden die Werke, wie in jedem anderen Museum auch, aus ihren ursprünglichen räumlichen Zusammenhängen gerissen, aber in neue Zusammenhänge gesetzt, die das jeweilige Ausstellungskonzept stiftet. Neben der Vorstellung von Künstlern, der Versammlung von thematischen Motiven oder dem Inszenieren von Kontrasten macht das Museum in vielfältiger Weise dabei auf die ganz eigene Bildsprache vergangener und zeitgenössischer Künstler aufmerksam, die ihre individuelle Interpretation und Weltsicht in ihren Werken zum Ausdruck bringen. So kann man neben dem rein ästhetischen Genuss dieser besonders leuchtstarken Kunst im eigenen Tempo ein Verständnis für die gestalterischen Veränderungen der Wirklichkeit gewinnen. Ein Ersatz für die spezielle Raumerfahrung von Glasmalerei am Einbauort ist das Museum nicht, aber eine anregende Bewahrungs- und Vermittlungsstätte für ein wachsendes Interesse an der Besichtigung von Kirchen oder mit Glasmalerei ausgestatteten öffentlichen Gebäuden.
Wahrnehmung der Glasmalerei in der Öffentlichkeit
Die Glasmalerei hat im Rheinland ihre letzte Boomphase in der Nachkriegszeit beim Wiederaufbau zerstörter Kirchen und deren Neubau erreicht. Während dieser bis in die 1980er Jahre reichenden Phase kam es besonders nach der Liturgiereform des II. Vatikanischen Konzils (1962-65) zu intensiver Zusammenarbeit zwischen Architekten und Glasmalern, die eine der modernen Bauauffassung adäquate Weiterführung der Wand in Glas durch architekturbezogene Glasmalerei möglich machten. Seitdem aber entwickelte sich eine unnötige Diskrepanz zu den Architekten, da Glasmalerei oberflächlich als Kirchenkunst, dekoratives Kunsthandwerk (Butzen, Vorhängescheiben, Tiffany) oder in den Architektenentwurf eingreifende „Kunst am Bau“ angesehen und abgewertet wurde. Als später Reflex auf die Ablehnung von Historismus und Ornament durch die Moderne sind die erreichten abstrakten und figürlichen, bleiverglasten und experimentellen Möglichkeiten einer zeitgenössischen Glasmalerei in Vergessenheit geraten, sowohl in der Ausbildung von Gestaltern, Designern und Architekten, als auch in der Öffentlichkeit.
Herkunft unserer Ausstellungsstücke
Nur die alteingesessenen Glasmalerei-Werkstätten und wenige selbstständig ausführende Glasmaler besitzen Zweitausführungen von guten Entwürfen oder Probescheiben von nicht gewonnenen Wettbewerben für Ausstellungs- und Werbezwecke, damit Kunden eine Vorstellung vom Stil verschiedener Künstler bekommen können. Diese Arbeiten, sowie Entwürfe, Plastiken und Gemälde, sind die Grundlage des Museumsfundus, denn die meisten Künstler sind nicht allein Glasmaler, sondern werden durch die Wechselwirkungen befruchtet, die ihre Arbeiten in anderen Kunstbereichen erzeugen, besonders Mosaik und Wandmalerei. Die Scheiben der Werkstätten sind bislang kaum im Handel aufgetaucht, daher nahmen der Kunstmarkt und mit ihm Kunstkritik und Kunstgeschichte die Glasmalerei nicht besonders wahr. Nur das europäische Grossprojekt des „Corpus Vitrearum Medii aevi“, das historische Fenster vor 1900 detailliert dokumentiert, schafft neben Einzelprojekten von Museen u.a. in Darmstadt, Düsseldorf, Köln und Karlsruhe eine Basis für Kenntnisse älterer Werke dieser Kunstgattung.
Neue öffentliche Diskussionen durch die „Künstler-Fenster“
Erst das „Künstler-Fenster“ von Gerhard Richter für den Kölner Dom hat seit 2007 die Diskussion in der Öffentlichkeit erneut entfacht und Aufmerksamkeit geschaffen. So wie Richter haben seitdem auch Neo Rauch, Markus Lüpertz, der als Glasmaler ausgebildete Sigmar Polke und andere einen Ausflug in Glasfenstergestaltung unternommen. Schon in den 1940er Jahren haben im Rahmen der französische „Art Sacre“-Bewegung der Glasmalerei eigentlich fern stehende Maler wie Leger, Manessier, Matisse, Picasso oder Chagall den handwerklichen und professionellen Glasmalern und eigentlichen Erzeugern von „Künstler-Fenstern“ gestalterische Impulse gegeben, die damals ebenso umstritten waren: in der Öffentlichkeit, weil sie ungewohnte Formen außerhalb der christlichen Tradition wählten, bei Glasmalern, weil sie mehr Bilder auf Glas blieben und die Raumsituationen und Herstellungsbedingungen weniger stark berücksichtigten.
Dokumentation glasmalerischer Schätze
Glasmalerei ist überwiegend architekturgebunden eingebaut, bzw. als Vorhängescheibe für den Privatbereich bekannt. Selbst innerhalb der Denkmalpflege werden Einzelscheiben, zumal ornamentale, nicht gut dokumentiert, sondern oft nur im Rahmen von Raumansichten nachvollziehbar. Nur Nah- und Einzelaufnahmen vermögen aber, Details erkennbar zu machen, wenn man eine überbelichtete helle Fläche vermeiden möchte. Die Programme von Digitalkameras sind auf Auflicht und Pigmentfarben ausgerichtet und zeigen farblich auffällige Abweichungen bei Durchlicht und Spektralfarben. Glasmalerei ist nicht leicht im Raumzusammenhang zu fotografieren und wird für Publikationen bisweilen durch eine Collage von isoliert aufgenommenen Raum- und Fensteransichten dem Wahrnehmungseindruck angenähert. Die „Forschungsstelle Glasmalerei“ bereinigt seit Jahren dieses Manko durch komplette Kirchenerfassungen in Einzelbildern. Zahlreiche Gemeinden haben allerdings nicht einmal in ihrer Pfarrchronik den Einbau oder den Namen der Glasmaler festgehalten, was bedauerlich ist. Die erschwerte Zugänglichkeit von Kirchen, ihre Umwidmung, Schließung und Zerstörung tut inzwischen ihr Übriges und man würde sich zumindest eine Dokumentierungspflicht wünschen, wenn schon der aufwändige Ausbau nicht geleistet werden kann.
Initiative für das Glasmalerei-Museum
Die schwindende Aufmerksamkeit für Glasmalerei aus all diesen immer absehbareren Gründen war seit den späten 70er Jahren für interessierte Bürger und Politiker, allen voran Prof. Dr. Fridolin Hallauer sowie Fritz und Ludovicus Oidtmann, die beiden inzwischen verstorbenen Leiter der in Linnich beheimateten ältesten deutschen Glasmalereiwerkstatt Dr. Heinrich Oidtmann, der Anlass, tätig zu werden. Sie begannen für ein Museum zu werben, das insbesondere die stärker vernachlässigte Glasmalerei des 20. Jahrhunderts sammeln, erforschen und der Öffentlichkeit bekannt machen sollte. Darum hat dieses Spezialmuseum hier seinen Platz gefunden.
(Zur Geschichte des Gebäudes und der Museumsentstehung)
Wissenschaftliche Aufarbeitung, Bewahrung und Präsentation von Künstlernachlässen
Den Grundstock für das Museum legten über 100 Glasmalereien der Nachkriegszeit und eine Bibliothek aus dem Bestand der Firma Dr. H. Oidtmann in Linnich, die von der NRW-Stiftung angekauft wurde. Der Erlös wurde in die 1997 gegründete Stiftung Deutsches Glasmalerei-Museum Linnich eingebracht, die durch einen Förderverein unterstützt wird. Inzwischen sind hunderte weiterer Werke durch Schenkungen und Ankäufe hinzugekommen. Die Nachlässe von Erich Feld und Maria Katzgrau etwa, deren Gemälde, Glasmalereien und über 2300 Entwürfe inzwischen aufgearbeitet sind oder die Schenkung von 111 Fenstern des 19. Jahrhunderts aus der Werkstatt Fritz Geiges durch Dr. Sven Fischer, die durch qualitätvolle Kopien die Vorgeschichte der Glasmalerei für die Besucher nachvollziehbar machen.
Zusammenarbeit mit Künstlern, Museen und Institutionen
Inzwischen gibt es auch dauerhafte Zusammenarbeiten mit dem Burgenmuseum Burg Nideggen und dem Kreis Düren (Kunstpreis) sowie mit zahlreichen anderen Netzwerken. Möglich gemacht haben dies damals neben dem Land NRW und der Stadt Linnich auch die Sponsoren Kreisparkasse Düren, Rheinbraun, RWE und PKL, ergänzt durch das Engagement der deutschen und besonders der regionalen Glasmalereiwerkstätten sowie vieler einzelner Künstlerinnen und Künstler. Heute finanzieren die SIG Combibloc, die Stadt Linnich und der Kreis Düren die Stiftung. Der Landschaftsverband, das Land NRW, die Natur- und Kulturstiftung der Sparkasse Düren und das RWE fördern projektbezogen. Diese Unterstützung ist weiter bitter nötig, zumal durch den Rückbau der Kirchen und die Nachlässe der wichtigen Nachkriegskünstler ein enormer Dokumentations- und Bewahrungsdruck entsteht.
Autor: Dr. Dirk Tölke