150 Jahre Glasmalerei in Linnich - Die Glasmalereiwerkstatt Dr. Heinrich OidtmannIn fünfter Generation

20. Oktober 2007 - 9. März 2008


Stolz blickt die Stadt Linnich 2007 auf die 150-jährige Geschichte rheinischer Glasmalerei in ihrer Stadmitte zurück. Die älteste Glasmalereiwerkstatt Deutschlands wurde hier 1857 vom Landarzt Dr. Heinrich Oidtmann gegründet. Bereits als Student der Chemie und Medizin beschäftigte sich Heinrich Oidtmann I (1833–1890) mit der Geschichte und Technik der Glasmalerei. Fasziniert von den Möglichkeiten des Werkstoffes Glas galt sein Interesse neben der Herstellung der traditionellen musivischen Glasmalerei der Entwicklung seriell herstellbarer Glasmalereien mittels einer speziellen Drucktechnik. Zu Beginn der 1860er Jahren gelang es ihm, mit der Technik der Lithographie Vorlagen auf Glas zu übertragen. Der Handel mit den nunmehr kostengünstigen Scheiben in Glassteindruck sorgte für einen steilen Aufstieg desLinnicher Unternehmens. Der wirtschaftliche Erfolg der weltweit exportierenden Firma (u.a. nach Amerika, China, Philippinen) zeigte sich auch in der Gründung zweier Filialen in Brüssel (1885) und Berlin (1886). Das mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnete Unternehmen zählte beim Inhaberwechsel im Jahre 1890 bereits einhundert Mitarbeiter.

In der zweiten Generation unter der Leitung des Mediziners Dr. Heinrich Oidtmann II (1861–1912) rückte die Firma aus Qualitätsgründen vom mechanischen Glassteindruck ab. Neben der Anfertigung historischer Kopien sowie Entwurf und Aus-führung musivischer Glasmalereien im historisierenden Stil lag der besondere Verdienst von Dr. Heinrich Oidtmann II vor allem in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Technik und der Geschichte der Glasmalerei. Die monumentale Abhandlung über „Die Rheinischen Glasmalereien vom 12. bis 16. Jahrhundert“ von 1912 gehört bis heute zu den Standardwerken der Glasmalereiliteratur.

Der Architekt Heinrich Oidtmann III (1888–1929) führte ab 1912 die Firma und das wissenschaftliche Werk seines Vaters fort; 1928 veröffentlichte er den zweiten Band über die Geschichte der rheinischen Glasmalerei. Nach seinem frühen Tod leitete seine Frau, Ludovica Oidtmann (1899–1945), die Linnicher Glasmalereiwerkstatt durch die schwierige Zeit der Weltwirtschaftskrise und des Dritten Reiches. Ihr Augenmerk galt verstärkt dem Ausbau der Zusammenarbeit von freien entwerfenden Künstlern wie Wendling, Katzgrau oder Hecker mit den ausführenden Handwerkern der Linnicher Werkstatt.

1945 übernahmen die beiden Söhne Friedrich (1924–2004) und Ludovikus Oidtmann (1928–2006) die durch den Zweiten Weltkrieg stark zerstörte Firma. Sie nutzten die Chance des Neubeginns in der Zeit des Wiederaufbaus und knüpften verstärkt an die modernen Tendenzen der Glasmalerei an, die bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts durch Johan Thorn Prikker im Rheinland initiiert worden waren. Neben dem persönlichen Kontakt zu Künstlern wie Cocteau, Soulages, Ubac und Vasarely in Frankreich, der diese zur Glasmalerei anregte, oder Helgadottir und Tryggvadottir in Island, war vor allem der Dialog mit jungen Glasmalern im Rheinland von nachhaltiger Bedeutung. Die Zusammenarbeit mit namhaften Künstlern wie u.a. Buschulte, Klos, Meistermann, Poensgen, Schaffrath, Schreiter und Spierling, als auch die Erweiterung des Angebots ausführbarer Techniken um Mosaik und Betonverglasung, begründeten den Aufschwung der Linnicher Werkstatt. Darüber hinaus waren die Firmeninhaber durch die Stiftung einer wertvollen Glasmalereisammlung maßgeblich an der 1997 erfolgten Gründung des Deutschen Glasmalerei-Museums in Linnich beteiligt.

Seit 1999 führen Heinrich und Dr. Stefan Oidtmann das Erbe ihrer Väter erfolgreich fort. Neben der Herstellung von autonomen Glaskunstwerken, Fenstern für Sakral- und Profanbauten, gehören auch konservatorische Maßnahmen – von der Restaurierung bis zur Schutzverglasung – zum facettenreichen Programm der Linnicher Firma.

Die Ausstellung im Deutschen Glasmalerei-Museum zeigt anhand von rund 70 Glasmalerei Exponaten sowie einer Vielzahl von Dokumenten einen Überblick über die Entwicklung der Linnicher Glasmalereiwerkstatt Dr. Heinrich Oidtmann zwischen Tradition und Moderne.

Publikation zur Ausstellung

Die Tätigkeit der Glasmalereiwerkstatt Dr. H. Oidtmann in Ost- und Westpreussen in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Linnich 2007. Myriam Wierschowski (Hrsg.), mit Texten von Myriam Wierschowski und Weronika Wojnowska sowie Fotos von Stanislaw Kuprjaniuk.

Katalog zur Ausstellung vom 20. Oktober 2007 – 9. März 2008, deutsch/polnisch

vergriffen ISBN 978-3-9810046-3-2