Glasmalerei des 20. Jahrhunderts
Die moderne Glasmalerei ist geprägt vom Wechselspiel der graphischen Strenge des Bleirutennetzes mit der Intensität des farbigen Lichtes, das mit seinem lebendigen Wechsel im Tages- und Jahresverlauf in vielfältiger Weise die Atmosphäre der Kirchenbauten und Profanräume seit der Jahrhundertwende bestimmt.
Die Glasmalerei des floralen und des geometrischen Jugendstils hat Teil an den Reformbewegungen, am Symbolismus und der beginnenden Werbegraphik. Plakative Farben und frei fließende pflanzliche Formen beeinflussen die weltliche Glasmalerei, die in den Wohnräumen neue Auftragsgebiete findet. Insbesondere der nachfolgende Stil des Expressionismus aber wirkt besonders auf die Ausdrucksstärke der sakralen Glasfenster.
Johan Thorn Prikker (1868-1932) ist ab 1910 der Erneuerer einer an den mittelalterlichen mosaikartigen Verglasungen orientierten Glasmalerei, die von nun an wieder „mit Glas“ statt „auf Glas“ malt. Paradebeispiel sind die Fenster für die Dreikönigkirche in Neuss von 1911, die nach Kritik erst 1919 wieder eingebaut werden durften. Farbiges Echtantikglas mit Wischungen und Lineaturen in Schwarzlot oder prismatisch sich brechende Dickglasbrocken werden in mystisch wirkenden Farbkontrasten leuchtstark gekoppelt und durch ein konstruktiv strenges Bleirutennetz gestützt.
Thorn Prikkers Schüler Heinrich Campendonk (1889-1957) und Anton Wendling (1891-1965) entwickeln als Lehrende ab Ende der zwanziger Jahre zusammen mit einer neuorientierten expressionistischen Architektengeneration im Rheinland ein Zentrum für moderne, formstrenge und an einem neuen Liturgieverständnis orientierten Glasfenstergestaltung. Vorbildlich wirkte hier die Ausstattung der Klosterkirche in Marienthal bei Wesel von 1926.
Die Anfang der 1930er Jahre ausgebildete Generation um Wilhelm Teuwen (1908-1967), Georg Meistermann (1911-1990), Maria Katzgrau (1912-1998) , Heinrich Dieckmann (1890-1963) und Josef Strater (1899-1956) sucht nach einer zeitgemäßen, abstrahierenden Bildsprache für sakrale Räume und prägt die Anfänge der Nachkriegskunst im Sinne einer vereinfachenden, archaisch strengen, lyrisch-erzählerischen oder geologisch-abstrakten Formenwelt unter Beibehaltung figürlicher Tendenzen. Georg Meistermann bettet seine Motive zusehends in ein pluralistisch-zersplittertes Gefüge farblich akzentuierter Bruchflächen mit schemenhaft entmaterialisierten Darstellungen.
Darauf verzichten die kurz nach dem Krieg selbstständig werdenden Ludwig Schaffrath (1924), Hubert Spierling (1925), Hans Gottfried von Stockhausen (1920), Wilhelm Buschulte (1923), Joachim Klos (1931), Johannes Schreiter (1930) und Jochem Poensgen (*1931) zugunsten spannungsreich komponierter Grundformen mit einer Tendenz der Schichtung von skizzenhaft-linearen und flächig-farbigen Strukturen.
Von der formstrengen Abstrahierung und ornamentalen Variation der Lichtteppiche des Aachener Doms durch Wendling und Walter Benner (1912-2005) 1951 über die monumentaler werdenden, freien Kompositionen Meistermanns mit dynamischer und meditativer Tendenz bis zu den tektonisch-grafischen und linear fließenden Schichtungen Schaffraths gehen die Künstler intensiv auf die Raumwirkung ein. Sie erweitern aber die technischen und inhaltlichen Möglichkeiten der Glasmalerei um Prismengläser, eine neue Breite der Farbpalette besonders in den Weißtönen, um blickdichte, aber leuchtstarke, opake und opale Gläser, um Betonfenster in Dickglas und um Fusingtechniken mit Schmelzverbindungen collagierter Glasstücke. Graphische Strenge, serielle Struktur, malerischer Reichtum, Einbeziehung des Siebdrucks, der Ätzung und freier organischer Formen zeigen die errungene Bandbreite der individuellen Stile dieser Folgegeneration, welche die zahllosen Neubauten von Kirchen seit den 60er Jahren ausstattet und das Bildprogramm und die zeitgemäße christliche Symbolik zur neuen, Fragen stellenden Aufbruchsstimmung seit dem II. Vatikanischen Konzil bestimmt.